Mathe-Vernichtungswaffen

von Klaus Grill

24.7.`18


Die Bunderegierung hat ein „Eckpunktepapier“ - halt nicht weglaufen!
Also weiter.
Es geht um Daten, die man in einen Algorithmus einspeisst und daraus Erkenntnisse gewinnt, mit denen man Geld verdienen kann.
Ein Beispiel:
Wenn man bei Amazon einen Rasenmäher kauft, wird dabei passendes Zubehör angezeigt, das man vielleicht benötigt, um seinen Garten zu pflegen. Das ist kein Mensch, der auf der anderen Seite des Bildschirms den Kunden schnell Zubehör auf die Webseite schiebt, sondern „künstliche Intelligenz“, „Machine Learning“, „Deep Learning Dingsda“.
Es hat sich zum Beispiel heraus gestellt, dass Leute, die online Windeln kaufen, auch Bier bestellen. Sowas prognostiziert ein Algorithmus aufgrund von Daten, aus denen eine statistische Wahrscheinlichkeiten generiert werden kann.
Überall können solche Algorithmen eingesetzt werden: Im Gesundheitswesen, im Bankenwesen, Versicherungswesen, im Verkehrsgewerbe… .
Verkehrsgewerbe - na, klingelts?
Nun sorgt sich die Bunsregierung bekanntermaßen um die Zukunft des Landes und hat sich deshalb vorgenommen, Deutschland zum führenden Standort für „Künstliche Intelligenz“ zu machen. So ähnlich wie mit dem Glasfaserkabel für schnelles Internet.
Aber um solch künstliche Intelligenz nutzen zu können, braucht man Unmengen an Daten, zu eben dieser statistischen Auswertung wie über Zusammenhänge zwischen Windeln und Bier.
Der Staat und mit ihm verbundene Institutionen, verfügen über eben genau diese Mengen an Daten. Meldeämter, Verkehrsämter, das Statistische Bundesamt, Sozialversicherungssysteme, ÖPVN, Katasterämter, Schulen, Universitäten - die Liste ist endlos, aus denen der Staat Daten über Verhalten, Lebensumstände und Interessen seiner Bürger bezieht.
Wie Zeit-Online berichtet, hat Wirtschaftsminister Altmaier nun erklärt, dass Deutschland diese Daten seiner Bürger an die Industrie verkaufen wird. Zum Beispiel:

wenn ein junges Unternehmen mit Daten, die bei öffentlichen Nahverkehrsgesellschaften anfallen, bessere Fahrpläne und neue Geschäftsmodelle entwickeln möchte
Peter Altmaier auf Zeit.de

dann will Altmaier liefern.
Ein "junges Unternehmen", dass "Fahrpläne" entwickeln will? `Tschuldigung - Fahrpläne?
Hochbahnchef Falk träumte auf der Veranstaltung von Frau Martin von der SPD von einer Zukunft ohne Fahrpläne, wo per App immer gerade ein geeigentes Verkehrsmittel vorbei kommt, in das der Fahrgast einfach so einsteigen kann. So erklärte er, die Hochbahn arbeite an einer App, die erkennt, wenn man mit einem Verkehrsmittel der Hochbahn fährt und den günstigsten Fahrpreis errechnet, ohne dass man je an einem Automaten oder sonstwo eine Fahrkarte gelöst hätte. Herr Falk erklärte, er selbst habe 0 Lust sich jemals wieder mit Tarifzonen und Fahrplänen herumärgern zu müssen.
Klingt futuristisch, oder? Und die Hochbahn ist noch nicht mal ein "junges" Unternehmen.
Es geht also nicht um etwas so Verträumtes wie Fahrpläne, es geht natürlich um die radikalste Umwälzung unserer Welt, die es jemals gegeben hat. Deshalb spricht Altmaier auch - en passant - von "neuen Geschäftsmodellen". Es geht um automatisierte Dienstleistungen, Automomes Fahren, Industrie 4.0, Roboter und "Optimierung" der Arbeitswelt. Also um die Massen-Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Sprunginnovationen", wie die Bundesregierung "Disruption" nennen will, weil das nicht so brutal klingt.
Das ist im Grunde das gleiche Geschäftsmodell wie es von Google, Facebook, Amazon und Consorten betrieben wird, nur eben staatlich.

Mit Daten kann man bares Geld verdienen
Peter Altmaier auf Zeit.de

sagt Altmaier.
Aber natürlich sollen die Daten seiner Bürger, die der Staat an die Industrie verkaufen will, anonymisiert, datenschutzkonform und für den Bürger 100% transparent sein. Vermutlich mit DSGVO-Siegel, grünem Punkt und Herkunftsnachweis wie bei Bio-Bananen.


Wir wollen im Gegenteil, dass der Bürger weiß, was der Staat über ihn weiß. Wir haben uns vorgenommen, ein Bürgerkonto einzurichten, wo jeder Bürger sehen kann: Welche Daten sind im öffentlichen Raum gespeichert. Und er kann sehen, wer auf diese Daten Zugriff nimmt.
Peter Altmaier auf Zeit.de

Das heisst, wir Bürger sollen wissen, dass wir von unserer Regierung als Resource für die Industrie benutzt werden, wir sollen wissen was und wie unser Leben ausgewertet wird, aber dieser Ausbeutung verweigern werden wir uns sicher nicht können.
Altmaier spricht hier auch von "öffentlichem Raum", der Bereich unserer Gesellschaft also, der bisher als unveräusserlich galt, aber in Zukunft verkauft werden kann.
Wenn ich zum Beispiel nicht will, dass Daten, die mein Leben produziert hat, von meiner Regierung an Moia verkauft wird, damit ein Roboter meinen Job bekommt, dann werde ich dies zwar erkennen können, aber nicht verhindern.
Noch kann man beim Einwohnermeldeamt für seine Daten festlegen, ob diese an "Verlage" und Verwerter herausgegeben werden oder nicht. "Verlage" - gemeint war damit damals z.B. das gute alte Telefonbuch. Erinnert sich noch Jemand daran? Das Telefonbuch? Es war so etwas ähnliches wie ein "Fahrplan".


Weapons Of Math Destruction

Seit zirka 2 Jahren wird in Geek-Kreisen, unter Programmierern, in Technik-Freak-Zirkeln, in der iT-Branche immer wieder ein Buch erwähnt, dass sich mit diesem Thema befasst.
"Weapons Of Math Destruction" von Cathy O'Neil, auf Deutsch "Angriff der Algorithmen". Es geht um die gottgleiche Autorität, die die Mathematik der Algorithmen über unser Leben und unser Zukunft hat.
Man muss offenbar nur die ersten Worte des Titels sagen und der Nerd gegenüber stimmt sofort mit ein. Dies ist ein gutes Indiz dafür, dass das Buch wohl etwas taugt, denn wenn die Experten sich schon vor ihrem eigenen Spielzeug fürchten, dann ist es zum fürchten.
Wer also noch auf der Suche nach einer Lektüre für den Strand oder die Flaute am Taxistand ist… .
Das Buch über die Seite des Verlags:

Das Buch bei *Räusper, Räusper* Amazon:

Ein Vortrag der Autorin bei YouTube (Englisch):

Eine Folge des Podcasts "Shoptalkshow" über Machine Learning (Englisch)

Erklärung "Machine Learning" vs. "AI" ab Minute 3.45

travis bickle