18.4.2019.
Bei dem Schriftsatz handelt es sich um den Beschluss des Verwaltungsgerichts von Freitag 15.4.`19. Bis dato hatten wir nur eine knappe Meldung des Gerichts erhalten, was der Eile wg. des Moia-Starts geschuldet war. Jetzt gibt es den Schriftsatz in ausführlich und mit Begründung.
60 Seiten. Diesmal begründet das Verwaltungsgericht auf 60 Seiten seine Entscheidung zur Klagebefugnis und Drittschutz inkl. aufschiebender Wirkung in unserer Klage gegen die Genehmigung von Moia.
Im Fall Clevershuttle waren es "nur" 41. Allein dies ist ein Indikator, dass das Gericht es sich nicht leicht gemacht hat.
Es geht um die Frage, ob die Behörde Moia eine "ermessensfehlerfreie" Genehmigung erteilt hat und dabei die schutzwürdigen Interessen des Taxigewerbes berücksichtigt hat.
Das Gericht klärt erstmal die Frage, ob das Taxigewerbe tatsächlich "schutzwürdig" ist und wenn ja, woraus sich dieser Schutz ableitet. Die Behörde hatte immer argumentiert, das Taxigewerbe könne keinen Schutz vor Konkurrenz für sich in Anspruch nehmen. Das Gericht stellt nun klar - kann es doch. Und zwar weil seine Funktionsfähigkeit insgesamt im öffentlichen Interresse ist.
Es gäbe zwar keinen Konkurrenzschutz aus marktimmanenten Gründen, aber ausnahmesweise aus marktexternen Gründen, wie das Gericht sie in unserem Fall, durch erwartbare Verwerfungen durch den Markteintritt von Moia, erkennen kann.
Es ist sogar im öffentlichen Interesse das Taxigewerbe vor sich selbst zu schützen, wenn es Dummheiten macht und versuchen sollte sich selbst zu zerstören - siehe die Tarifbindung, die Existenz von limitierten Konzessionen oder - wie hier in Hamburg - das "Hamburger Modell" samt Plausibilitätsprüfung inkl. Konzessionsverweigerung. Dies sind Maßnahmen zum Schutz des Taxigewerbes vor Dysfunktionalität.
Das Gericht untersucht dann die Frage, ob es - bedingt durch das Wesen von Moias Dienst - zu einer Verwerfung des Marktes kommen kann und beantwortet diese Frage klar mit "ja". Da nun aber die Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes schutzwürdig ist, würde eine Verwerfung dieses Marktes nicht im öffentlichen Interesse stehen und eine Genehmigung dieses Dienstes ist dann nicht mehr "ermessensfehlerfrei".
Das Gericht sieht in der Genehmigung von Moia keine Erprobung sondern, die Schaffung von unwiderruflichen Fakten.
Die Moia gewährte Genehmigung könnte sich nach gegenwärtigem Sachstand als eine solche, den Verkehrsmarkt erheblich umstrukturierende Systementscheidung darstellen.
An dieser Stelle muss nämlich vergegenwärtigt werden, dass es sich immerhin um 1000 genehmigte Fahrzeuge im Verhältnis zu 3.138 Taxen … handelt … aufgrund des Vorbehalts zunächst nur um 500 Fahrzeuge handeln wird, ist diese Anzahl aufgrund der vorstehenden Erwägungen immer noch erheblich…. Den Taxen stehen dann 3 Moia Fahrzeuge pro km2 gegenüber.
Das Gericht untersucht dann die Behauptung, dass sich Moia nicht an Taxikunden wendet, sondern an PKW Besitzer, mit dem Ziel, diese zum Umstieg zu bewegen.
Es schreibt:
Indes lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend verifizieren, ob diese Annahme zutreffend ist.
Und an anderer Stelle:
Es wurde bereits oben dargelegt, dass dem Gericht nicht ersichtlich ist, worauf sich die Annahme, es würden (nur oder überwiegend) Nutzer/innen angesprochen, die zuvor Teilnehmer/innen des Individualverkehrs gewesen seien, stützt…
Und an anderer Stelle:
Dabei wäre auch zu bedenken, dass Moia selbst davon ausgeht, die große Gruppe der Individualverkehrsteilnehmer/innen erfolgreich ansprechen zu können. Warum gerade diese Gruppe eine Affinität zu Apps haben sollte, die sich von derjenigen der Gruppe der bisherigen Taxenkunden/innen unterscheidet, ist nicht ersichtlich.
Das Gericht lässt damit dem immer wieder vorgetragenen Bullshit aus Moias Werbung und dem der Lobbyisten der ganzen Branche - sie würden die Autos auf den Straßen reduzieren - die Luft raus.
Insgesamt ist das Gericht nicht zufrieden mit dem Job, den die Behörde bei der Genehmigung von Moia gemacht hat. Es moniert, dass viele nötige Informationen, die die Behörde hätte einfordern müssen, nicht vorlägen und stattdessen auf "mündliche Besprechungen" verwiesen wurde.
Die Richter schreiben:
Abgesehen davon, dass ohne entsprechende Angaben nicht nachvollziehbar ist, ob und wie die Behörde eine Auswirkung auf die öffentlichen Verkehrsinteressen im Genehmigungsverfahren überhaupt geprüft hat …
Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, sämtliche vom Gericht angefragte Informationen lägen noch nicht vor, da diese Parameter noch erprobt werden müssten, und meint aus diesem Grund offenbar, eine tiefergehende Prüfung sei rechtlich nicht geboten. Das ist so nicht richtig. Die Erteilung einer Erprobungsgenehmigung ist an Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft, deren Vorliegen wie stets nicht erhofft oder herbeigewünscht, sondern im Rahmen eines geeigneten Verfahrens überprüft werden muss.
Das Gericht moniert eine fehlende Methodik mit der die Behörde die von Moia vorgelegten Angaben hätte untersuchen müssen. Es erklärt sogar:
Abgesehen davon, dass … nicht nachvollziehbar ist, ob und wie die Behörde … überhaupt geprüft hat und ob sie dabei die rechtlichen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums beachtet hat… .
Es moniert sogar, dass die Behörde die Angaben von Moia einfach ungeprüft übernommen hat und überführt sie dieser Schlamperei anhand einer Aussage in ihrem eigenen Genehmigungsbescheid:
Auch diese Berechnung scheint die Antragsgegnerin nach ihren Angaben im hiesigen Verfahren und im Genehmigungsbescheid nicht angefordert und auch nicht überprüft zu haben. („Die Antragstellerin selbst hält eine durchschnittliche Anzahl von 3 Fahrzeugen pro km2 für erforderlich, sodass diese Zahl zugrunde gelegt werden kann“, S. 6 Genehmigungsbescheid)
Das Gericht führt eine Art Plausibilitätsprüfung der behördlichen Genehmigung von Moia durch und vermisst dabei eine Methodik:
Nochmals zusammengefasst, hält es das Gericht objektiv-rechtlich für erforderlich, dass die Genehmigungsbehörde den Antrag der Beigeladenen vollständig und neutral prüft. Dabei muss sie insbesondere nach einer plausiblen Methodik analysieren und bewerten, mit welchen Auswirkungen auf die öffentlichen Verkehrsinteressen zu rechnen ist…
Da es sich bei der Genehmigung von Moia um eine Erprobung handelt, untersucht das Gericht, ob es wirklich eine Erprobung ist oder ob die Behörde durch die Ausgestaltung der Genehmigung einen Systemwechsel in dem vom PBefG geregelten Bereich einfach frech selbst vornimmt, was jedoch Aufgabe des Gesetzgebers wäre und nicht der Verwaltung, woran das Gericht die Behörde auch an anderer Stelle erinnert.
Zudem darf sie unter der Erprobungsklausel keine Entscheidungen treffen, mit denen sie faktisch dergestalt „vollendete Tatsachen“ schafft, dass sie einer gesetzgeberischen Entscheidung vorgreift.
Nachdem das Gericht im Falle Clevershuttle auf die Taxiähnlichkeit von dessen Dienst abgehoben hatte, argumentierten die Anwälte von Moia nun, der Dienst ihres Mandanten sei nicht "taxiähnlich", sondern eher mehr so wie Linienverkehr. Clevershuttle sei "taxiähnlich", sie selbst aber nicht.
Dazu schreibt das Gericht:
Dabei kommt es letztendlich nicht auf eine formale Einordnung an, ob der Verkehr linienverkehrsähnlicher oder taxenverkehrsähnlicher ist. Die Frage ist, ob gegenüber dem Taxengewerbe – nur dies ist im Hinblick auf den Antragsteller von Interesse - wettbewerbliche Wechselwirkungen bestehen, die es gebieten, in der Ausgestaltung der Erprobungsgenehmigung den vom Gesetzgeber vorgegebenen Regulierungsansätzen betreffend das Taxengewerbe (vollständig oder mit Abweichungen) zur Geltung zu verhelfen.
Auch leuchtet dem Gericht die im hiesigen Verfahren wiederholt vorgetragene Linienverkehrsähnlichkeit nicht in einer Weise ein, dass ein Wettbewerbsverhältnis zum Taxengewerbe von vornherein als ausgeschlossen erscheint.
Bei der Abgrenzung zum Taxigewerbe geht es auch um Moias berühmte "virtuellen Haltepunkte", deren Anzahl und Verteilung Moias Betriebsgeheimnis sind. Ein engmaschiges Haltepunkte-Netz stellt irgendwann eine Tür-zu-Tür-Beförderung dar, während Moia sich ein "Corner-To-Corner" Prinzip ausgedacht hatte, dem das Gericht nicht so ganz traut.
Es schreibt:
Sofern demgegenüber angeführt wurde, die lückenlose Bedienung von Kundenaufträgen rund um die Uhr von jedem Fahrtziel in Hamburg sei ein unverzichtbarer Vorteil des Taxenverkehrs, so vermag das Gericht diese Abgrenzung auf Grundlage der ihm vorgelegten Unterlagen nicht nachzuvollziehen. Moia hat eine Genehmigung für das gesamte Stadtgebiet für einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb erhalten und möchte mit 500 (später 1000) Fahrzeugen auf dem Markt agieren. Wenn sie hier Beschränkungen vornimmt, dann aus Rentabilitätsgründen. Das Gericht gewann nach bisheriger Erkenntnislage jedenfalls den Eindruck, dass Moia sehr wohl anstrebt, von einer großen Nutzergruppe, als ein verlässlicher und flächendeckender Dienst wahrgenommen zu werden.
Die erkennende Kammer hat auch Zweifel daran, ob die Beschränkung der Bestellmöglichkeit auf Apps eine hinreichende Abgrenzung neuer Fahrdienste zum Taxengewerbe ermöglicht…
Die Behörde hatte ausserdem argumentiert, Taxis hätten den Vorteil herangewunken zu werden, was Moias nicht erlaubt wäre, die ausschließlich über eine App bestellt werden könnten. Auch Verkehrtminister Scheuer hatte ähnlich argumentiert und Winke-Winke-Zonen zum Schutz des Taxigewerbes angeboten. Das Gericht beweist erneut seine Nähe zur Wirklichkeit folgendermaßen:
Die Antragsgegnerin hat insofern ausgeführt, dass die anderweitige Annahme von Fahrgästen dem Taxenverkehr vorbehalten sei. Dabei wäre insbesondere anhand der Zielgruppe (und deren Smartphone-Durchdringung) zu überlegen, ob dies einen wahrnehmbaren Unterschied darstellt.
Insbesondere dürfte es kaum einen Unterschied machen, mit dem Handy eine Funkzentrale anzurufen oder eine Eingabe in der App zu machen.
Zum Ende dieses Überblicks über den sehr komplexen Gerichtsentscheid, soll hier noch ein Leckerbissen folgen.
Es geht ums Geld. Um den Fahrpreis und das Dumping.
Aber - Überaschung - es geht um MyTaxi!
Das Gericht kennt den Sonder-Tarif den MyTaxi von der Behörde genehmigt bekommen hat und auch die perfide Sondervereinbarung mit einigen Taxiunternehmern.
Und es äussert rechtliche Bedenken, die freilich hier nicht zu irgendeiner Entscheidung Mytaxi betreffend führen, denn das ist eine andere Baustelle, die gern von Jemand anderem geführt werden kann.
Hier der Wortlaut des Gerichts zu der Sache:
Sofern die Antragsgegnerin nunmehr dem Ride-Sharing des Taxengewerbes bei Nutzung von mytaxi Match ebenfalls Abweichungen von der Tarifbindung ermöglicht hat, gebietet diese Sachverhaltskonstellation vertiefter Beleuchtung, ob dies zu einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung führen kann. Denn es stellt sich in der Tat die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um eine rechtmäßige Praxis handelt. Zwar ist die Intention einer Anpassung der Wettbewerbsfähigkeit von Taxen grundsätzlich gerade mit Blick auf die neuen Beförderungsarten nachvollziehbar, auch um (rechtliche) Konflikte zwischen den Verkehrsarten von vornherein auszuschließen. Es stellt sich aber die Frage, ob das Instrument der Sondervereinbarungen hierfür ein geeignetes ist. So hat die Behörde nämlich für eine noch nicht definierte und unbestimmte Anzahl von Kunden – die grundsätzlich der Gesamtheit gewerblicher Kunden und Verbraucher als Nachfrager von Personenbeförderungsdienstleistungen entsprechen könnte – abweichende Tarifbedingungen gestattet, die möglicherweise abstrakt-generell in der Taxenordnung oder auf Grundlage von § 2 Abs. 11 TaxenO und nicht im Wege der Genehmigung von Sondervereinbarungen auf Grundlage von §§ 51 Abs. 2 PBefG, 2 Abs. 10 TaxenO zu treffen wären. Insbesondere ist die vertragliche Konstruktion fraglich, da die Sondervereinbarung – in der Sondervereinbarung selbst dann bezeichnenderweise auch „Sondervereinbarung mit der Stadt Hamburg“ genannt – in der Weise geschlossen wird, dass sie im Rahmen von AGB mit jedem/r mytaxi App-Nutzer/in vereinbart wird.
Bada-Bing Bada-Boom!
Wie immer gibt es das Dokument hier zum Download: